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Integration von Mehrsprachigkeit im Schulalltag

Für die Eingrenzung dieses vielfältigen Themas haben wir die Bereiche der Schule identifiziert, in welchen Förder- und Umsetzungsmassnahmen im Umgang mit Mehrsprachigkeit relevant sind: Didaktische Unterrichtsmethoden für die Lehrpersonen, das mehrsprachige Klassenzimmer, die Arbeit mit Erziehungsberechtigten und die Angebote in der Stadt Zürich. Während unserer Recherche haben wir für diese vier Bereiche nachhaltige und konstruktive Ideen gefunden, wie diese mehrsprachig-orientiert gestaltet werden können. Auch wurde die Bedeutung, warum dies geschehen soll, erläutert: Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive lassen sich verschiedene Gründe für eine konstruktive Berücksichtigung Mehrsprachigkeit in den Schulen ableiten. Die Einbindung aller Sprachen der Kinder in Bildungsprozesse entspricht pädagogischen Grundsätzen, die weitgehend als Konsens gelten (Fürstenau, 2017, S. 10 ff. zitiert nach Gogolin, 2008): So sollen Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit und ihrem Selbstwertgefühl gestärkt werden, indem an ihre sprachlich-kulturellen Erfahrungen angeknüpft wird. Beim sozialen Lernen können gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht ignoriert werden, ebenso wenig bei der Konzeption einer demokratischen Schule, in der Schüler:innen unterschiedlicher sozialer Herkunft gemeinsam lernen. Als Grundlage für die Innovation allgemeiner sprachlicher Bildung schlägt Gogolin (2008, S. 22 f.) folgende Punkte vor:

  1. Erweiterung des Schulsprachenangebots unter Berücksichtigung der in der Umgebung der Schule gesprochenen Sprachen.
  2. Überwindung der Monolingualität beim Lernen im Medium der Sprache.
  3. Berücksichtigung des Lernens unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit in allen Fächern.

Diese drei Punkte sind Grundgedanken für die Lehrperson für den Umgang in allen vier Bereichen der Mehrsprachigkeit. In einem zweiten Schritt können sie das didaktische Handeln der Lehrperson und auch die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten begleiten. Diese Haltung wird sich im Klassenzimmer an den Kindern spiegeln und diese somit im Umgang mit der Mehrsprachigkeit der gesamten Klasse befähigen.

Die vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten auf dieser Website sollen Lehrpersonen als Inspiration oder Motivation dienen, um die Thematik in der Klasse einzubringen. Die ausgewählten Praxisbeispiele sind exemplarisch, können wie beschrieben übernommen werden, aber auch der Klasse und dem Schulzimmer angepasst werden. Viele Umsetzungsmöglichkeiten können in Bezug auf das Niveau variiert und dementsprechend vereinfacht oder erweitert werden. Insgesamt setzen wir eine Reflektiertheit bei der Auswahl, Durchführung und Evaluation der Umsetzungen voraus.

Der erste Schritt für eine erfolgreiche didaktische Integration von Mehrsprachigkeit ist die Entstigmatisierung. Die Fehlannahme, dass der Gebrauch der Erstsprache der Kinder keinen Platz im Unterricht benötigt oder gar hinderlich sei, muss die Lehrperson ablegen. Die Schüler:innen und die Lehrperson sollen ein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen sprachlichen Ausdrucksformen entwickeln. Es gibt verschiedene Strategien, die sich die Lehrperson aneignen kann, um die Mehrsprachigkeit der Klasse wertzuschätzen. Im Rahmen der Erziehungswissenschaft werden mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze erarbeitet. Diese basieren auf dem Language-Awareness-Konzept aus Grossbritannien und dienen dazu, Sprachreflexions- und Vergleiche anzuregen (Oomen-Welke, 1998). Ziel ist es, Mehrsprachigkeit für alle Mitglieder der Lerngruppe zu einer wertvollen Erfahrung zu machen, indem keine Sprachhierarchien vermittelt werden und sowohl Kinder als auch Lehrperson Sprachen wertfrei begegnen. Zusätzlich kann es für individuelle Schüler:innen hilfreich sein, wenn sie beim Lernen auf die Gesamtheit ihres sprachlich-begrifflichen Repertoires in allen ihnen verfügbaren Sprachen zurückgreifen können. Hinweise darauf, dass Schüler:innen von einem Unterricht profitieren, mit dem der positive Transfer zwischen Sprachen unterstützt wird, liegen aus bilingualen Unterrichtsprogrammen mit Migrationssprachen vor (Neuman, 2009).

Obwohl eine zunehmende Wertschätzung von Mehrsprachigkeit in den Schulen erfolgt, spielt sie weiterhin eine geringe Rolle im schulischen Alltag. Kropp (2015, zitiert nach Mehlhorn, 2020, S. 27) bezeichnet das als School Language Effect und meint damit das Phänomen, «dass herkunftsbedingt erworbene Sprachen, die nicht der jeweiligen Schul- und Umgebungssprache entsprechen, ausgeblendet und unterdrückt werden». In weiteren Untersuchungen zum Potenzial von Herkunftssprecher:innen in der Schule (u. a. Brehmer & Mehlhorn, 2018) konnte gezeigt werden, dass die Integration von deren Vorwissen im Geographie- oder Geschichtsunterricht eher eine Ausnahme ist und auch im sprachen- sowie fächerübergreifenden Unterricht eher Sprachen mit höherem Stellenwert eine Rolle spielen. Somit gibt es diesbezüglich noch Verbesserungsbedarf, um die Mehrsprachigkeit als Ressource zu nutzen.

Mit dem Ziel, Benachteiligung und Diskriminierung zu überwinden, skizziert Cummins (1968) eine Orientierung, die einen additiven Einbezug von Sprache und Kultur beinhaltet. Das bedeutet, dass jedem Sprachgebrauch ein Eigenwert zuerkannt wird und gleichzeitig die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Schüler:innen bezogen auf soziale Gebrauchskontexte erweitert werden. Alle Kinder sollen in einem selbstbewussten Umgang mit ihrer sprachlich-kulturellen Identität bestärkt und gleichzeitig zum Erwerb der sprachlich-kulturellen Kompetenzen, die ihnen die Partizipation in der Schule sowie in der Gesellschaft ermöglichen, motiviert und befähigt werden. Ein additiver Einbezug von Sprache bedeutet, dass eine oder mehrere Sprachen neben der dominierenden Unterrichtssprache ergänzend in den Bildungskontext integriert werden. Es geht darum, die Vielfalt der in der Klasse oder im Bildungsumfeld vorhandenen Sprachen zu berücksichtigen und diese als Bereicherung zu verstehen. Mit dem additiven Ansatz werden die Vorteile des Mehrsprachigseins hervorgehoben und die Sprachkenntnisse aller Kinder anerkannt. Der additive Ansatz stimmt mit dem Grundgedanken des Language-Awareness-Konzepts überein. Klicke hier für die konkrete Umsetzung.

Bedingt durch die Heterogenität müssen Lehrpersonen und Schulleitungen die Individualität der Schüler:innen berücksichtigen sowie entsprechende Massnahmen einleiten. Beispiele dafür sind die ‹Individualisierung› und ‹innere Differenzierung› des Unterrichts. Die Heterogenität der Klasse zu akzeptieren heisst, durch verschiedene sowie offene Unterrichtsangebote individuellere Lernprozesse zu ermöglichen und zielbezogen zu begleiten. Konkret geht es um das Differenzieren von Anforderungen für ein- und mehrsprachige Schüler:innen, das Erteilen individuell angepasster Aufgaben, die Unterstützung durch Einzelbetreuung und das Zur-Verfügung-Stellen von Unterrichtszeit zum Arbeiten an individuellen Lernaufgaben. Didaktisch gesehen umfasst die Individualisierung fünf Handlungsbereiche:

  1. Festlegung von Zielen, Inhalten und Kompetenzen
  2. Diagnose der individuellen Lernvoraussetzungen in Bezug auf diese Ziele
  3. Bereitstellen eines passenden Lernangebots
  4. Individuelle Begleitung während des Lern- und Arbeitsprozesses
  5. Überprüfung und Diagnose der individuellen Ergebnisse

Es ist nicht erforderlich, die fünf Bereiche vollständig zu absolvieren. Trotzdem ist es in Bezug auf die Förderung des Kindes wenig sinnvoll, wenn nach einer erfolgten Diagnose keine passenden Lernangebote bereitgestellt werden. Klicke hier für die konkrete Umsetzung.

Integrale Sprachendidaktik ist ein Sammelbegriff für Sprachenunterricht, bei dem verschiedene methodische Zugänge und sprachliche Organisationsformen berücksichtigt werden. Anders als beim herkömmlichen Unterricht werden beim integralen Sprachenunterricht die dem Sprachenlernen zugrunde liegende Gemeinsamkeiten beim Erwerb von Sprache im Allgemeinen und von Fremdsprachen im Besonderen betont. So sollen Sprachen nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern es werden gleichzeitig Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen analysiert sowie für den Lernprozess nutzbar gemacht. Dies bedarf auch einer Koordination nicht nur des Sprachunterrichts. Dabei werden Kenntnisse aus der allgemeinen Lerntheorie und der allgemeinen Didaktik integriert. Das bedeutet in diesem Zusammenhang vereinen, ergänzen, einbeziehen, eingliedern oder zusammenfügen.

Die Grundprinzipien einer integralen Sprachendidaktik:

  • Nutzen des Wissens in der Erstsprache für das Erlernen weiterer Sprachen
  • Gleichzeitiger Gebrauch der verschiedenen Sprachen
  • (Partielle) Aufhebung des Prinzips der Sprachtrennung → Prinzip der Sprachordnung - Kognitive Ökonomie: Vorwissen einer Sprache nutzen, um eine neue zu lernen
  • Curriculare Synergien nutzen
  • Nutzen immersiver Formen des Fremdsprachenlernens
  • Bewusster Umgang mit mehreren Sprachen → Metalinguistik
  • Integration allgemein- und sprachdidaktischer Gütekriterien - Systematischer und geordneter Gebrauch der Sprache
  • Förderung der intra- und interkulturellen Kompetenz

Insgesamt geht es bei der integralen Sprachendidaktik im Kindergarten darum, dass Sprache nicht isoliert betrachtet wird, sondern in einen ganzheitlichen Kontext eingebettet ist, durch den das Interesse der Kinder geweckt und ihre kulturelle sowie sprachliche Vielfalt berücksichtigt wird. Es ist wesentlich, dass Lehrpersonen die Bedürfnisse sowie Fähigkeiten der Kinder beachten und einen anregenden, respektvollen sowie vielfältigen Lernraum schaffen.

Um auf die Sprachenvielfalt der Klasse einzugehen, eignen sich ausgewählte Bilderbücher besonders gut. Bei diesen wird Mehrsprachigkeit in den Fokus gestellt und es werden Lernchancen für mono- sowie multilinguale Kinder angeboten. Bei der korrekten Umsetzung der literarischen Werke haben Bilderbücher das Potenzial, zu eigenen Sprachreflexionen und Vergleichen anzuregen. Es gibt solche, die konkret darauf abzielen, die Mehrsprachigkeit zu thematisieren. Andere Bücher sind auf Deutsch und gleichzeitig in zahlreichen anderen Sprachen geschrieben. Diese eignen sich für einen direkten Sprachvergleich. Durch solche multilingualen Bilderbücher kann das Interesse der Kinder geweckt und ihre Motivation zum Sprachenlernen erhöht werden.

Schliesslich ist auch die Einbindung der Erziehungsberechtigten in Verbindung mit mehrsprachigen Bilderbüchern wesentlich, zumal diese als Experten und Expertinnen in die Klasse eingeladen werden können, um die Geschichte in der Erstsprache zu erzählen. Wenn möglich, sollte stets das gesamte Sprachenspektrum der Kinder aufgegriffen werden.

Klicke hier, um eine Liste potenzieller Bilderbücher für deinen Unterricht einzusehen.

Ein mehrsprachiges einladendes Klassenzimmer ist der erste Schritt zu einer positiven Grundhaltung der Kinder und der Lehrperson für die Sprachenvielfalt der Gruppe (Kirwan, 2014). Das Klassenzimmer und der Kindergarten können so gestaltet werden, dass sie der Förderung der Sprachbewusstheit dienen. Dies kann durch die Bereitstellung von Materialien in verschiedenen Sprachen, Bilderbüchern, Sprachspielen und multilingualen Beschriftungen erfolgen. Die genaue Gestaltung eines mehrsprachigen Kindergartens oder Klassenzimmers kann je nach den Bedürfnissen der Kinder, den verfügbaren Ressourcen und den pädagogischen Ansätzen variieren. Das Ziel sollte aber immer darin bestehen, die Mehrsprachigkeit als eine Bereicherung und eine Chance für die persönliche Entwicklung der Kinder zu betrachten.

Die Wertschätzung der Erstsprache sollte nicht nur in der Schule stattfinden, sondern muss auch von den Erziehungsberechtigten geschehen und in die Spracherziehung integriert werden.

Es ist erforderlich, dass die positive Einstellung der Kinder den beiden/verschiedenen Sprachen gegenüber konstant ermutigt wird, dass kleine Fortschritte bekräftigt werden und das Kind für die beginnende Zwei-/Mehrsprachigkeit gelobt wird. Dies stärkt das Selbstbewusstsein und schafft die notwendige Voraussetzung für ein vergnügliches Lernen. In der Familie soll das Kind lernen, dass die eigene Erstsprache eine Ressource ist, ein Teil der Identität. In der Schule soll dieses Gefühl bestärkt und gleichzeitig aufgezeigt werden, dass die Erstsprache zum Erlernen einer Zweitsprache hilfreich ist. Familie und Schule haben demnach eine bedeutende Ausgleichsfunktion. In einigen Familien wird Spracherziehung bewusst geplant und dem Kind werden systematisch Möglichkeiten vielfältiger mehrsprachiger Erfahrungen geboten. Dabei werden oft für das Kind nachvollziehbare Sprachgrenzen definiert (eine Person – eine Sprache). Diese Erziehungsberechtigten nehmen sich viel Zeit für den sprachlichen Austausch mit ihren Kindern und schaffen eine das Kind stimulierende, fordernd-wertschätzende Lernumgebung. Sie sind in ihrem Sprachverhalten gute Vorbilder für ihre Kinder und haben als weiteres Qualitätsmerkmal einen Kommunikationsstil, der altersgerecht ist. Sie hören dem Kind aufmerksam zu, nehmen es ernst, regen es an, selbst Fragen zu stellen, loben es für sprachliche Fortschritte, stellen auch anspruchsvollere, denkanregende Fragen und untermalen ihre Aussagen mit Gestik, Mimik sowie anderen didaktischen Hilfsmitteln (Cathomas & Carigiet, 2008).

Auf der anderen Seite gibt es familiäre Konstellationen, in denen der Spracherziehung keine grosse Bedeutung geschenkt wird (werden kann). Es erfolgt keine bewusste Sprachplanung. Aus persönlichen und/oder wirtschaftlichen Gründen werden die Kinder nicht intensiv mehrsprachig gefördert. Die Lernumgebung ist einfältig und monoton. Lernfortschritte werden als normal angesehen und nicht emotional positiv zurückgemeldet. Unter solchen Bedingungen ist es schwierig, mehrsprachig zu werden. Allerdings besteht die Möglichkeit, durch andere fördernde Bedingungen, wie Sprachbegabung oder ausserfamiliäre Unterstützung, solchermassen entstandene Defizite teilweise ausgleichen zu können (Cathomas & Carigiet, 2008).

Als Lehrperson können wir nicht voraussetzen, dass in allen Familien eine nachhaltige Spracherziehung angeboten wird. Allerdings können wir ihnen die nötigen Informationen geben, um eine stressfreie Umsetzung zu ermöglichen. Wesentlich sind eine offene Kommunikation und das Bewusstsein einer wertschätzenden Mehrsprachigkeit in der Realitätswelt des Kindes.